Alle Schotten tragen Röcke und der Valentinstag ist eine Erfindung deutscher Blumenhändler

Von globalen Ritualen und Traditionen die keine sind

Würde ich sie nun auffordern mir das erste Merkmal zu nennen, mit dem sie einen Schotten assoziieren, so würden sie wahrscheinlich wie aus der Pistole geschossen mit „Schottenrock“ antworten. Aber was, wenn ich ihnen erzähle, dass der Schottenrock gar keine Erfindung der Schotten, sondern die eines englischen Fabrikbesitzers ist? Sie würden einen Kilt trotz dessen immer noch mit einem traditionellen Schotten verbinden – weil die Schotten nicht müde werden, ihn auch als das zu verkaufen: als uralte schottische Tradition und Erkennungsmerkmal ihrer Kultur.

Der wissenschaftliche Ausdruck für diese Art Traditionen, die eigentlich keine sind, ist „Invented Traditions“, was übersetzt nichts anderes als „Erfundene Traditionen“ bedeutet. Dabei gehört der Schottenrock keineswegs zu dem einzigen Vertreter dieser Art.

Eine bekannte, aber trotz dessen erfundene, deutsche Tradition sind Trachten mit vermeintlich hundert Jahre alter Vergangenheit.

Traditionelle“ deutsche Trachten, in ihrer heutigen ausgeschmückten Form, sind so in den ländlichen und armen Gegenden Deutschlands nie vorgekommen. Es ist wahrscheinlich, dass man sich in Deutschland irgendwann vor vielen Jahren dachte: „Die Schotten haben ihre Röcke, dann wollen wir unsere Trachten“.

Diese erfundenen Traditionen haben nicht ausschließlich den Zweck uns eine vermeintlich Jahrhunderte alte Tradition vor zugaukeln, sondern sollen vielmehr das Zusammengehörigkeitsgefühl einer Gruppe stärken. Sie verkörpern das Erkennungszeichen einer Volksgruppe, ein Ritual und ein Stück Landesgeschichte.

Ein weiteres Beispiel einer erfundenen Tradition ist die allseits bekannte und scheinbar typisch afrikanische Vuvzela. Spätestens durch die Fussball Weltmeisterschaft 2010 hat sich der Bekanntheitsgrad des lautstarken Blasinstrumentes um 100 % gesteigert. Sie ist zum Symbol des Fussballs, des Sieges und Afrikas geworden. Nun wurde die Vuvuzela jedoch gerade einmal vor rund 21 Jahren erfunden. Lediglich ihre Verwendung zur Weltmeisterschaft hat sie endgültig zum Symbol für Afrika und nicht zuletzt den Fußball gemacht. Traditionell ist dabei jedoch höchstens der Ursprung ihres Namens, der angeblich auf die Banutsprache isiZulu zurück zu führen ist und frei übersetzt soviel wie „Krach machen“ bedeuten soll.

Neben nachweislich erfundenen Traditionen kommt es im Zuge der Globalisierung auch vermehrt zu einer weltweiten Vereinheitlichung von Traditionen und Ritualen.

Ein Beispiel dafür ist das Zelebrieren von Halloween. Dieser Brauch stammt zwar, entgegen einer weit verbreiteten Annahme nicht aus den USA, sondern wurde von irischen Einwanderern als Erinnerung an ihre europäische Heimat aufgegriffen und in den USA ausgebaut, gilt jedoch als typisch amerikanisch.

Angefangenen in Frankreich, verbreitet sich der Brauch im Verlauf der 90er Jahren schnell auf viele weitere Länder Europas. Im Gegensatz zum amerikanischen Halloween, bei dem ganze Klassenzimmer dekoriert werden, beschränkt sich das schaurig-schöne Schmücken der Einrichtung in Europa jedoch auf einzelne Haushalte und Läden. Halloween hat sich in den vergangenen Jahren also zu einem weltweit zelebrierten Ritual entwickelt, dessen Verbreitung sicher noch einige Zeit andauern wird.

Auch der Valentinstag ist entgegen einer spöttischen Annahme keine Erfindung deutscher Blumenhändler, sondern markiert offiziell den „Tag der Liebenden“. Der Brauch geht ursprünglich auf einen christlichen Märtyrer mit Namen Valentinus zurück und fand seine Verbreitung von England aus auf ganz Europa. Mit Süßwaren, Blumen und Liebesbriefen überrascht man seine oder seinen Liebsten um seine tiefe Verbundenheit zum Ausdruck zu bringen. Trotzdem bleibt unumstritten, dass Blumenhändler und Süßwarenverkäufer durch intensive Werbung ausschlaggebend an der Verbreitung des Valentinstages teilnahmen.

Nun haben wir gelernt, dass der Schottenrock eigentlich nicht schottisch ist, die Deutschen im 17. Jahrhundert keine Trachten trugen und die Vuvuzelas alles andere als traditionell afrikanisch sind. Sie haben nun zwei Möglichkeiten. Möglichkeit eins: Sie boykottieren derartige Rituale aufgrund ihrer tief sitzenden Enttäuschung und dem unangenehmen Gefühl an der Nase herum geführt wurden zu sein. Oder, Möglichkeit zwei, sie lassen sich ihr neu gewonnenes Wissen nicht anmerken und kaufen sich trotzdem einen Kilt, wenn sie einen Urlaub in Schottland verbringen.

Eigentlich haben wir ja sowieso nie wirklich daran geglaubt, dass Vuvuzelas schon seit Menschengedenken existierten und erst 2010 zur kollektiven Gehörschädigung eingesetzt wurden. Und mal davon abgesehen das uns der alljährliche Valentinstag ein kleines Vermögen kostet, ist es doch immer wieder nett einen Tag im Jahr so viel Liebe und herrlich übertriebenen Kitsch um uns herum zu haben. Sei es nun um sich darüber zu amüsieren oder um ein Teil der rosaroten Wattebauschwelt zu sein.

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